RCN in SPMS

Research Collaboration Network in SPMS

Um internationale Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der sekundär progredienten MS (SPMS) zu fördern, wurde 2019 das Research Collaboration Network (RCN) in SPMS gegründet. Mit diesem Netzwerk werden länderübergreifend Daten von MS-Patienten analysiert, um gezielter Aussagen zu Prävalenz und Therapie von SPMS-Patienten in Abgrenzung zu RRMS-Patienten treffen und somit zukünftig relevante Entwicklungen in der Patientenbetreuung und Therapiegestaltung fördern zu können.

Das RCN besteht aktuell aus neun europäischen sowie einem internationalen MS-Register. Dazu gehören neben dem deutschen MS-Register, das dänische, schwedische sowie finnische MS-Register. Außerdem beteiligen sich das britische, französische, italienische und tschechische MS-Register sowie das internationale MS-Register MSBase am RCN.

Die Koordination der einzelnen Projekte übernimmt das Karolinska Institut in Stockholm.

Bisherige Studien

Prävalenz und Krankheitsmerkmale von sekundär progredienter MS (SPMS) / Prevalence and Disease characteristics of SPMS

Im Rahmen der ersten Studie innerhalb des Research Collaboration Network in SPMS wurden drei unterschiedliche Algorithmen/ Methoden zur Klassifizierung von MS-Patienten in entweder RRMS oder SPMS im Vergleich zur klinischen Einteilung durch einen Neurologen untersucht und validiert. Ziel ist es, eine einheitliche Definition, welche Charakteristika eine SPMS ausmachen. Für diese Studie wurden Daten aus den MS-Registern aus Tschechien (11.336 Patienten), Dänemark (10.255 Patienten), Deutschland (23.185 Patienten), Schweden (11.247 Patienten) und Großbritannien (5.086 Patienten) genutzt. 

Eingeschlossen wurden MS-Patienten mit RRMS oder SPMS, die bei der letzten EDSS-Bestimmung innerhalb des Untersuchungszeitraums (01. Januar 2017 bis 01. Januar 2019) 18 Jahre oder älter waren.

Drei Algorithmen zur Klassifizierung von Patienten mit Fokus auf den EDSS wurden untersucht:

  1. Die "Modified real world EXPAND criteria" basierend auf der klinischen Studie EXPAND.

Die "Data-derived definition" der Melbourne University ohne den "pyramidal Functional Score" 
Lorscheider J, Buzzard K, Jokubaitis V et al. Defining secondary progressive multiple sclerosis. Brain : a journal of neurology 2016; 139: 2395–405

  1. Der "Decision tree classifier" des Karolinska Instituts (Stockholm)
    Ramanujam R, Zhu F, Fink K et al. Accurate classification of secondary progression in multiple sclerosis using a decision tree. Multiple sclerosis (Houndmills, Basingstoke, England) 2020

Die Algorithmen wurden im Hinblick auf Sensitivität und Spezifität mit der klinischen Einteilung verglichen.


Die Algorithmen Nr. 2 und 3 wiesen eine hohe Sensitivität und Spezifität auf, während Algorithmus Nr. 1 eine hohe Spezifität, aber eine geringe Sensitivität aufwies. Nr. 3 war die einzige Methode, bei der alle Patienten klassifiziert werden konnten.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Algorithmen in verschiedenen MS-Registern für eine objektive Klassifizierung eingesetzt werden können. Die Wahl des passenden Algorithmus ist abhängig von der jeweiligen Forschungsfrage und der Datenverfügbarkeit.

Patientenmerkmale und Behandlungsmuster / Patient Characteristics and Treatment Patterns

In der zweiten Studie wurden aus fünf europäischen MS-Registern, die bereits an der ersten Studie teilgenommen hatten, RRMS-Patienten anhand der zuvor definierten Charakteristika erneut untersucht.

Im Rahmen dieser Studie wurden Merkmale von MS-Patienten aus fünf MS-Registern verglichen, denen klinisch eine RRMS zugewiesen worden war und die nach Anwendung der auf Algorithmen basierenden Klassifikationsmethoden (aus Studie 1) potentiell in SPMS eingestuft werden konnten.

Dafür wurden Daten aus MS-Registern in Dänemark (10.255 Patienten), Deutschland (23.185 Patienten), Großbritannien (5.086 Patienten), Schweden (11.247 Patienten) und Tschechien (11.336 Patienten) verwendet. Es wurden Patienten eingeschlossen, bei denen eine RRMS oder SPMS diagnostiziert wurde und die zu Beginn der Studie mindestens 18 Jahre alt waren. Zusätzlich zu der klinischen Einteilung der SPMS wurde die datenbasierte Klassifikationsmethode, des Decision tree classifier des Karolinska Instituts, auf Grundlage des Alters und des (letzten) EDSS angewandt.


Als Ergebnis der Studie wurde festgestellt, dass in allen MS-Registern klinische RRMS-Patienten als SPMS reklassifiziert werden konnten. Mithilfe des „Decision tree classifiers“ wurden so in den fünf Registern insgesamt 8.372 RRMS-Patienten neu als SPMS klassifiziert, wodurch der Gesamtanteil der SPMS-Patienten von 17 % auf 31 % anstieg. Der Gesamtanteil der klinisch festgestellten SPMS-Patienten, die eine krankheitsmodifizierende Therapie („Disease-modifying Therapy“; DMT) erhielten, lag bei 36 %, variierte jedoch stark zwischen den Registern. Der Gesamtanteil der reklassifizierten SPMS-Patienten, die eine DMT erhielten, war mit 69 % deutlich höher.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass SPMS-Patienten, die eine DMT erhalten, häufig klinisch falsch als RRMS-Patienten eingestuft werden. Dies wirft die Frage auf, ob die Zeit vom Ausbruch der MS bis zum Übergang in die sekundär progrediente Form der MS als Maß für die Wirksamkeit von DMTs verwendet werden sollte, und spricht für die Verwendung objektiver Klassifikationsmethoden bei der Analyse von MS-Patientenpopulationen.

Eine praxisnahe Bewertung der vielfältigen Aspekte der progressiven MS / A real-world evaluation of multifaceted aspects of progressive MS

Im Rahmen der dritten Studie wurden volljährige MS-Patienten aus neun verschiedenen MS-Registern untersucht, die sich in ihrer sekundär progredienten Phase der MS befanden. Dabei wurde neben demographischen und klinischen Merkmalen auch das Fortschreiten der Behinderung betrachtet und in Bezug auf verschriebene krankheitsmodifizierende Therapien bewertet. 

In der Studie wurden die Daten von MS-Patienten in einem Untersuchungszeitraum von zwei Jahren (01. Januar 2015 bis 01. Januar 2017) betrachtet, die bis zum 01. Januar 2015 als SPMS eingestuft wurden. Diese Patienten wurden in zwei Gruppen unterteilt und deren Daten verglichen: 

- MS-Patienten, die in dem Zeitraum von zwei Jahren mind. 80% der Zeit und am Ende der zwei Jahre verlaufsmodifizierende Therapien erhalten haben, 

- MS-Patienten, die in dem Zeitraum von zwei Jahren weniger als 20% der Zeit und zum Ende der zwei Jahre keine verlaufsmodifizierenden Therapien erhalten haben.

Zusätzlich wurde in einem darauf folgenden einem Zeitraum (von 01. Januar 2017 bis 01. Januar 2021) mithilfe von EDSS-Scores untersucht, wie sich der Verlauf der Behinderung entwickelt hat. 


Die Register unterschieden sich stark in der Zahl der Patienten, die die Einschlusskriterien der Studie erfüllten ( Dänemark = 534; Schweden = 1293; Tschechien = 718; Großbritannien = 15; Deutschland = 279; Italien = 2337; Finnland = 104; Frankreich = 3236; MSBase - International = 1722).

Dabei zeigt sich, dass unbehandelte SPMS-Patienten zum Ende des ersten Untersuchungszeitraumes (01. Januar 2017) und bei der SPMS-Diagnose älter waren und eine längere Krankheitsphase durchlaufen haben. Gleichzeitig zeigte sich, dass unbehandelte SPMS-Patienten am Ende des ersten Untersuchungszeitraumes durchschnittlich zwar einen höheren EDSS, allerdings weniger Schübe aufwiesen. Die durchschnittliche Zunahme des EDSS in der Gruppe der unbehandelten SPMS-Patienten unterschied isch in den verschiedenen Datenquellen.

Die Daten deuten generell darauf hin, dass eine positive Wirkung von verlaufsmodifizierenden Therapien bei der Verlangsamung der Krankheitsentwicklung zu einem früheren Zeitpunkt der progressiven Phase besteht. Allerdings zeigt sich auch, dass bei älter werdenden Patienten eine Weiterbehandlung mit verlaufsmodifizierenden Therapien nicht unbedingt den gleichen, verlangsamenden Effekt auf das Fortschreiten des EDSS hat.

Veröffentlichungen

The impact of healthcare systems on the clinical diagnosis and disease-modifying treatment usage in relapse-onset multiple sclerosis: a real-world perspective in five registries across Europe

Nicholas R, Rodgers J et al and on behalf of the SPMS Research Collaboration Network, 2023: Therapeutic Advances in Neurological Disorders, first published online: September 26, 2023; doi: 10.1177/17562864231198963

 

Proportion and characteristics of secondary progressive multiple sclerosis in five European registries using objective classifiers

Forsberg L, Spelman T et al and on behalf of the SPMS Research Collaboration Network 2023: Multiple Sclerosis Journal – Experimental, Translational and Clinical, Volume 9, Issue 1; published online: February 16, 2023; doi: 10.1177/20552173231153557

Influence of disease modifying therapies on expanded disability status scale scores trajectories in treated and not-treated patients with secondary Progressive multiple sclerosis - analysis from nine registries (Abstract)

L. Pontieri et al, 2022: Vortrag auf der ECTRIMS 2022, Amsterdam

Treatment escalation in secondary progressive MS identified clinically and algorithmically in relapsing remitting (RR)MS

Veröffentlicht: Mai 2021, ABN 2021; Type: Adobe/PDF
Abstract Nicolas R, et al, 2021: BMJ Journals, Volume 93, Issue 6

Objective classification of multiple sclerosis disease course results in frequent reclassification to secondary progressive multiple sclerosis

Veröffentlicht: April 2021, AAN 2021; Type: Adobe/PDF
Abstract Hillert J, et al, 2021: Neurology, April 13, 2021; 96 (15 Supplement) (4094)

Validation of three Secondary Progressive Multiple Sclerosis classification methods in five registries within the SPMS Research Collaboration Network (Abstract), deutsche Layperson-Version

L. Forsberg, D. Ellenberger, A. Stahmann, et al, 2020: Vortrag auf dem Virtual Joint ACTRIMS-ECTRIMS meeting 2020 (MS Virtual 2020), PS05 - Pharmacological management of progressive MS, deutsche Layperson-Version veröffentlicht im Dezember 2020 in der aktiv! Nr. 269 Seite 32 f., Type: Adobe/PDF

Ongoing disease modifying treatment associated with mis-classification of secondary progressive as relapsing-remitting multiple sclerosis (Abstract),
deutsche Layperson-Version

J. Hillert, D. Ellenberger, A. Stahmann, et al, 2020: Vortrag auf dem Virtual Joint ACTRIMS-ECTRIMS meeting 2020 (MS Virtual 2020), PS05 - Pharmacological management of progressive MS, deutsche Layperson-Version veröffentlicht im Dezember 2020 in der aktiv! Nr. 269 Seite 32 f., Type: Adobe/PDF

Objective classification methods result in an increased proportion of secondary progressive multiple sclerosis in five patient registries

Glaser A, Stahmann A, et al. Veröffentlicht: September 2020, Virtual Joint ACTRIMS-ECTRIMS Meeting (MS Virtual 2020), Type: PDF

Comparison of the proportions of Secondary Progressive Multiple Sclerosis between three registries within the SPMS Research Collaboration Network

Als Posterbeitrag für die AAN 2020 vorgesehen, Kongress wurde aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt.
Abstract L Forsberg, et al, 2020: Neurology, April 14, 2020; 94 (15 Supplement) (3977)

Opportunities and challenges for conducting research on secondary progressive multiple sclerosis across international multiple sclerosis registries through a research network collaboration

Veröffentlicht: September 2019, ECTRIMS 2019; Type: PDF